Wenn die Haspa geht und Aldi schließt…
könnte Groß Borstel sich endlich mal Gedanken machen über einen Neuanfang. Irgendetwas scheint an dem alten Konzept nicht gut zu funktionieren.
Tatsächlich haben sich die Einkaufsbedürfnisse seit Jahren erheblich verändert. Es gibt immer weniger, dafür immer größere Läden – immer mit riesigen Parkplatzflächen davor – meist am Rand der Stadtteile. Besonders im Lebensmitteleinzelhandel herrscht heftiger Konkurrenzkampf. Freie Flächen für große Märkte sind stark begehrt. Und in Groß Borstel nicht zu bekommen.
Heute kauft man mit dem Auto ein. Und zwar am besten alles in einem Markt und das auch noch günstig und schnell. Tante-Emma-Läden haben keine Chance. Im Verhältnis zum Umsatz produzieren sie die meisten Personal- und Mietkosten. Ihr Sortiment ist so eingeschränkt, dass man anschließend noch zum Gemüseladen muss, zum Bäcker, zum Schlachter und zur Drogerie. So war das noch bis vor wenigen Jahren. Das hatte viele Vorteile. Einen netten Spaziergang, Nachbarn treffen. Ein Klönschnack mit dem Schlachter. Alles fußläufig erreichbar – auch ohne Auto. Aber es hatte auch Nachteile.
Wer heute bei Rewe, Edeka, Lidl oder Aldi kauft, der bekommt alles in einem Laden – mittlerweile wie in einem kleinen Kaufhaus – und das wesentlich günstiger und schneller, als es im Facheinzelhandel angeboten werden könnte. Dafür muss man auf Qualität verzichten. Auf den Spaziergang, auf die Gespräche mit den Nachbarn, die man dabei getroffen hätte. Und weil der Einkauf dann so groß ausfällt, fährt man zumeist mit dem Auto zum Supermarkt.
Die Bezirksversammlungen in Hamburg haben inzwischen die Gefahr dieser Randansiedlungen von Einkaufssupermärkten erkannt und genehmigen sie nicht mehr.
Denn es gibt durchaus noch Marktlücken zwischen den Polen große Supermärkte / kleine Fachgeschäfte. Betrachten wir einmal die Innenstadt Hamburgs in den siebziger Jahren. Auch sie hatte deutlich mehr Fachgeschäfte als heute. Einige sind dem technischen Wandel zum Opfer gefallen, zum Beispiel Fotoläden oder Schallplattengeschäfte. Aber an und für sich ist das Projekt „Belebung der Hamburger City“ aus heutiger Sicht gelungen. Der Neue Wall, die vielen Einkaufspassagen, großzügige Flaniermeilen, Verdrängung oder mindestens Einschränkung des Autoverkehrs.
Die Einkaufspassagen bieten eine interessante Auswahl an Fachgeschäften an. Dieser Ladenmix macht den Besuch attraktiv. Er funktioniert, weil ein komplettes und bedarfsgerechtes Sortiment angeboten wird. Läden werden auch von Geschäften gemietet, die sich die Miete einer Einkaufspassage normalerweise nicht leisten könnten, aber für die Passage unbedingt notwendig sind. Beispielsweise Bäcker, die bekanntlich auch kleine Brötchen verkaufen wollen. Diese Quersubventionierung für einen attraktiven Ladenmix erfolgt durch die Gebäudeeigentümer.
Auch wenn wir in unserem kleinen Groß Borstel solche Einkaufspassagen nicht realisieren können (und wollen), der Ansatz der Sanierung könnte sich daran orientieren: Gebäude- und Grundeigentümer überlegen sich einen guten und modernen Ladenmix und setzen sich mal unter Moderation von Bezirksverwaltung mit Bauunternehmern, Wirtschaftsförderern und Bürgervertretungen für ein solches Konzept zusammen. Planen die entsprechenden Gebäude um, am besten gleich von der Tankstelle bis zur Haspa (bitte diesmal ohne Spielhalle). Und sie lassen so peu à peu oder in schnellen großen Schritten ein neues Zentrum für Groß Borstel entstehen. Mit modernen Läden, kleinen Supermärkten, einem Café, Budni natürlich, Haspa als Mini-Bank. Vielleicht kommt auch ein kleiner Buchladen oder gleich ein ganzes Lesecafé. Alles jedenfalls so dimensioniert, wie Groß Borstel es braucht. Und mit Wohnungen über den Läden, damit der Platz nicht verschwendet wird und sich die ganze Sache rechnet.
Es würde natürlich eine Operation am offenen Herzen werden. Denn die bestehenden Läden müssen während des Umbaus weiterbetrieben werden bzw. in die fertiggestellten Gebäudebereiche umziehen. Aber am Ende würde Groß Borstel endlich das bekommen, was es schon so lange braucht: ein Zentrum! Vielleicht auch einen kleinen Marktplatz, im Sommer mit Außengastronomie an der verkehrsberuhigten Kreuzung Brödermannsweg/Borsteler Chaussee.
Warum hat das bisher noch nicht geklappt? Es hat doch jeder seit Jahren gesehen, dass es mit Groß Borstel nicht aufwärts geht. Nach und nach verschwanden Läden. Die Bücherhalle, die Post, der Bäcker Görsch, der Schleckermarkt. Jetzt Mein Regalboden, die Haspa. Bald vielleicht auch noch Aldi. Warum stoppt keiner den drohenden Leerstand?
Es fühlt sich keiner berufen. Die Grundeigentümer haben wohl genügend Ertrag mit dem, was noch existiert. Auch ist die Frage nie geklärt worden: Was kaufen Groß Borsteler eigentlich nicht in Groß Borstel? Und warum wird das hier nicht angeboten? Anstelle der Haspa wird sich sicher jemand anderes finden. Allerdings etwas aus der Kategorie Rudis Reste-Rampe.
Von allein findet sich nichts, was den Niedergang stoppt. Das können nur die Grundeigentümer gemeinsam angehen, indem sie sich etwas Neues ausdenken. Sie müssen einmal von der Bezirksverwaltung eingeladen werden, und es sollten ihnen dann praktikable Konzepte aus anderen Regionen aufgezeigt werden, die funktionieren.
Solche Projekte entwickeln normalerweise Projektentwickler. Sie tarieren aus, was gebaut werden könnte, wer mit ins Boot geholt werden muss, welche Mietinteressenten für die Gewerbeflächen akquiriert werden können. Das ist ein Geschäft, das nicht unbedingt öffentlich betrieben werden kann. Es verlangt Fingerspitzengefühl und eine Verwaltung, die den Grundeigentümern mit etwas Fantasie aufzeigt, wie schön es werden könnte, wenn sich alle oder mindestens einige entschließen würden, in Groß Borstels Zukunft zu investieren.
Ein Risiko? Nein. Groß Borstel wird wachsen. 2.000 neue Anwohner am Tarpenbeker Ufer garantieren Umsatzsteigerungen. 1.000 neue Einwohner aus weiteren Projekten der Nachverdichtung. Vielleicht sogar mehr. Oft wird zu bedenken gegeben, dass die Anwohner ein so großes Projekt nicht mittragen werden, dass die Nachbarn immer gleich mit Klage drohen und dass deswegen die Investition im Ansatz scheitert.
Jedoch kann bei entsprechend guter Vorbereitung und Einbindung der Groß Borsteler schon in die ersten Planungsüberlegungen – etwa so, wie man es bei der neuen Mitte Altona vorgemacht hat – auch ein großes Projekt in Groß Borstel gut gelingen.
Viele sagen, Groß Borstel ist dafür zu klein. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Aldis und Haspas denken zu groß. Sie vernachlässigen Konzepte für kleinere Stadtteile, kleine Supermärkte mit passgerechtem Angebot, mit angegliederten Shops und Dienstleistungsangeboten, die gemeinsam ein Konzept ergeben. Sie denken nicht als Stadtteil. Vielleicht ist es das, was wir verändern können. Der Versuch wäre es wert.
Uwe Schröder