Wir schaffen das! Intergration durch Sport.
Als Nicolas Moumouni das freundliche, helle Klubhaus des SV Groß Borstel an diesem verschneiten Abend betritt und Richtung Tresen schlendert, fliegen die Köpfe in seine Richtung und ein Gespräch entwickelt sich sofort. Typischer Smalltalk: das letzte Spiel, das Wetter, das nächste Spiel.
Man merkt innerhalb von Sekunden, dass sich hier einer im neuen Zuhause wohl fühlt. Und als Moumouni dem Gast eine Stunde später zusammen mit dem Vereinsvorsitzenden Georg Schulz die obere Etage des neuen Vereinsgebäudes mit dem großen Veranstaltungsraum samt Kaffee-Ecke zeigt, spürt man den Stolz, Teil einer sehr sinnvollen, aber auch ungewöhnlichen Partnerschaft sein zu dürfen. Und nichts Anderes ist es ja, wenn über den Weg des Zufalls ein traditioneller deutscher Sportverein und eine junge, gemischte Migrantenselbstorganisation zusammenfinden.
Der SV Groß Borstel von 1908 e.V. im Brödermannsweg, genannt „Brö“, und der Verein Ossara e. V.: Man könnte es staubtrocken eine Kooperations-Partnerschaft nennen. Aber wer dem erfahrenen Vereinslenker Schulz, 61 Jahre alt, und seinem 36 Jahre alten Kollegen Moumouni zuhört, bekommt ein Gespür dafür, dass hier mehr wachsen und entstehen wird als der bisherige montägliche Yogakurs von 11.30 Uhr bis 13 Uhr.
Gefördert vom Programm „Integration durch Sport“ des DOSB, sollen Vereinsmitglieder von Ossara e.V. sowie andere Migrant*innen im Stadtteil auf dem neuen Kunstrasenplatz am „Brö“ und dem nebenstehenden Vereinshaus nicht nur gemeinsam mit Groß Borstelern Sport treiben. Es wird auch Hausaufgabenhilfe, Sprachförderung in Form von Prüfungsvorbereitung, Begegnungscafé mit Sozialberatung für Frauen und Mütter, Frauengymnastik sowie Fahrrad- und Kanutouren geben.
Die Angebote sind für alle offen und sollen Menschen aus dem Stadtteil zusammenbringen. Über die Kinder kommt man zudem gut an die Eltern heran. Das ist der vielgepriesene Weg der Integration durch Sport in die Gesellschaft.
„Viele bei uns haben gedacht, was sollen sie in einem deutschen Sportverein, da werde nur Fußball gespielt. Da sind doch die Deutschen unter sich. Jetzt wissen sie, dass da viel mehr ist“, sagt Nicolas Moumouni. „Diese Barrieren sind abgebaut.“ Der sonst als Sozialberater tätige Gründer von Ossara e.V. ist 2006 aus Togo nach Deutschland gekommen und lebt jetzt mit seiner Frau und zwei Kindern in Hamburg. Nicht nur sein hervorragendes Deutsch und sein Migrationshintergrund machen ihn für viele bei Ossara e.V. und der afrikanischen Community zu einem Vorbild. Er lebt gern hier, preist die Vorzüge Deutschlands, kritisiert auch mal mangelnden Integrationswillen gewisser Geflüchteter.
Ossara („Alles wird gut“) wurde am 28. Oktober 2017 gegründet und versteht sich als Verein zur Förderung der Bildung, Gesundheit und kulturellen Vielfalt. Die 45 Vereinsmitglieder kommen aus verschiedenen Ländern. Auf der Suche nach einem Kooperations-Partner verschickte Moumouni im Frühjahr 2018 E-Mails an über 60 Hamburger Vereine. Es ging auch um ausrangierte Trikotsätze für Schulen sowie andere Projekte in Togo. Schulz erfuhr davon, es wurden Trikots für Togo beim SV Groß Borstel gesammelt, und im Juni 2018 bei der Eröffnungsfeier des neuen Sportplatzes am „Brö“ waren Ossara e.V. und seine Mitglieder mit einem Informationsstand vertreten. Bei einer gemeinsamen Kanufahrt mit anderen Interessierten im Sommer lernten sich beide Vorstände noch näher kennen.
„Viele Migranten haben Angst vor Wasser oder sind Nicht-Schwimmer. Es war ideal, um Vertrauen aufzubauen und die Stadt vom Wasser aus zu betrachten. Inzwischen werden wir gefragt, wann wir wieder so etwas machen“, erzählt Moumouni. „Für uns ist das Ganze ein Glücksfall. Wir wurden herzlich aufgenommen und fühlen uns hier zuhause.“ Georg Schulz lächelt. Er würde das nüchterner ausdrücken. Die Freude über das, was hier gedeiht, wohnt versteckter.
Im Hauptberuf Verkaufsleiter in einem Autohaus, ist Schulz jemand, der beharrlich über den Tellerrand schaut. Er sieht um den SV Groß Borstel herum einen stetig wachsenden Stadtteil, er sieht Bedarf und Bedürfnisse, die der Sport schon jetzt kaum erfüllen kann, weil Platz und Kapazitäten fehlen. Allein am Tarpenbeker Ufer entstehen Wohnungen für 2500 Menschen. Es wird auch in Zukunft nur zusammen gehen. So wie jetzt schon. Schulz sagt: „Der Stadtteil soll merken, dass hier im Brö 31 der SV Groß Borstel und Ossara gemeinsam sind, trotz unterschiedlicher Herkunft.“
Schulz will den Verein öffnen für neue Hamburger, er weiß, wie man mit der Politik über Bande spielt und Fördertöpfe anzapft – aktuell hat sein Verein 920 Mitglieder; vor drei Jahren waren es 400. „Wir wollen nicht zuschauen, sondern anpacken, mitentwickeln, denn die neuen Mitglieder sind schon da,“ sagt Schulz. „Wir sehen uns als Dienstleistungsbetrieb. Dann kommen die Leute.“
1250 bis 1440 Mitglieder schweben ihm vor, auch angelockt durch neue Angebote Ossaras: Breakdance, Poetry Slam, Hiphop, Lesungen und Projekttage zu Rassismus und Diversität. Dass nicht jedes alteingesessene Mitglied alles toll findet, was da kommen könnte, verschweigt Schulz nicht. Moumouni schwebt vor, dass Ehrenamtliche und Mitglieder von Ossara auch ideale Brückenpersonen in umliegenden Flüchtlingsunterkünften sein können, um dort auf die gemeinsamen Angebote aufmerksam zu machen.
Mit Ossara schlägt der SV Groß Borstel ein neues Kapitel auf. Die Geschäftsstelle ist auch dank der Kooperation bereits an zwei Vormittagen mit Ehrenamtlichen besetzt. Langfristig möchte Schulz hier eine hauptamtliche Stelle einführen. Ossara hat nun eine vorzeigbare Adresse. Und viel mehr: „Es gibt im Stadtteil kaum eine Anlaufstelle, wo Migranten sich angedockt fühlen. Vielleicht können wir das werden – und neben der Beratung eben auch noch Sport anbieten“, sagt Moumouni. An Ideen mangelt es den beiden nicht.
Von Frank Heike